Schwache Konjunktur, starke Börse – auf den ersten Blick wirkt es grotesk: Je schlechter die deutschen Konjunkturdaten ausfallen, desto schneller klettert der DAX auf neue Höchststände. Sogar im historisch betrachtet weitaus schlechtesten Börsenmonat September. Passt das wirklich zusammen?
Die Hiobsbotschaften aus der deutschen Wirtschaft nehmen kein Ende: Ankündigungen von Massenentlassungen, Gewinnwarnungen und -einbrüche bei vielen Unternehmen, Krisenstimmung in der Autoindustrie, Auftragseingänge im Sinkflug, und, und und … Auch die Rückgänge zuverlässiger Konjunktur-Frühindikatoren wie dem ifo-Geschäftsklima, dem GfK-Konsumklima und vor allem den viel beachteten Einkaufsmanagerindizes versprechen für die nahe Zukunft wenig Gutes. Und nicht nur für Deutschland. Für die gesamte Eurozone sieht es zunehmend düsterer aus.
Schwache Konjunktur, starke Börse
Das gilt besonders, seitdem die vorläufigen September-Daten des HCOB Einkaufsmanagerindex für Deutschland noch verheerender ausgefallen sind als von Experten erwartet worden war. Sie signalisieren nach Ansicht der Autoren der Studie „mit dem tiefsten Wert seit Februar einen kräftigen Wachstumsrückgang“. Ifo-Chef Clemens Fuest meint denn auch nach dem vierten Minus beim ifo-Geschäftsklima in Folge: „Die deutsche Wirtschaft gerät immer stärker unter Druck“.
DAX legt seit Oktober 2023 um 30 Prozent zu
Ganz anders als bei der Konjunktur sieht es am Aktienmarkt aus. Seit dem Tief von Ende Oktober 2023 hat der DAX um rund 30% zugelegt, davon allein in den beiden Wochen bis zum 26. September um rund 5%. Ein Hauptgrund für die Diskrepanz zwischen schwacher Konjunktur und bullenstarker Börse ist die Zinsentwicklung. Die Notenbanken geraten zunehmend unter Druck, die Bremsen noch schneller und stärker zu lockern, um den Sinkflug der Konjunktur zu stoppen, der ja nicht allein auf Deutschland beschränkt ist, auch wenn er hier zu Lande besonders ausgeprägt ist.
Die EZB hat bereits zweimal ihren Leitzins gesenkt. Und weitere Reduzierungen gelten als sicher, zumal die Inflation wegen der schwachen Konjunktur und den nachgebenden Energiepreisen vorerst niedrig bleiben dürfte. Zudem hat die US-Notenbank Fed ihren Zinssatz um 0,5 Prozentpunkte und damit stärker zurückgenommen als erwartet. Und am 24. September hat nun auch die chinesische Notenbank überraschend die Zinsen gesenkt und die Liquiditätszufuhr an die Banken und die Wirtschaft massiv ausgeweitet, um den darbenden Wohnungsbau zu stützen und die müde Konjunktur wieder ins Rollen zu bringen.
Retten Zinssenkungen wieder einmal die Konjunktur?
Wenn die zwei mächtigsten Wirtschaftsnationen der Erde und dazu noch die EZB ihre Geldpolitik gemeinsam lockern, entsteht in der Regel weltweit ein starker Wachstumsschub. Allerdings nicht von heute auf morgen. Notenbank-Schritte benötigen üblicherweise mehrere Monate, bis sie zu wirken beginnen. Aber genau darauf spekulieren die Anleger. Schließlich läuft das Börsengeschehen in der Regel der Wirtschaftsentwicklung um sechs bis neun Monate voraus. Die aktuellen Kurse reflektieren damit die konjunkturellen Erwartungen für das Frühjahr und den Sommer des nächsten Jahres. Bis dahin werden, so die Prognosen, dank der weltweiten Zinsimpulse die Rezessionssorgen allmählich schwinden und einer neuen Erholungsphase weichen.
In der Vergangenheit war es denn auch fast immer so, dass fallende Zinsen zuerst einen Börsen- und dann einen Konjunkturaufschwung ausgelöst haben. In der jüngeren Vergangenheit hat diese Börsenregel nur einmal nicht gestimmt – beim Crash der Technologieaktien Anfang dieses Jahrtausends. Dass Zinssenkungen erneut das Schlimmste verhindern werden, gilt damit als sehr wahrscheinlich. Aber natürlich nicht als unmöglich. Zumal mit den geopolitischen Krisen ein Risiko fast täglich weiter wächst, das es in diesem Ausmaß in den letzten Jahrzehnten nie gegeben hat.
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