Japan als erste Börse – dann der Rest der Welt: Nicht erst seit dem „schwarzen Montag“ herrscht große Unruhe an den Börsen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der japanische Yen, dessen jahrelange Kursschwäche Anleger weltweit zu riskanten Yen-Krediten verlockt hat, die zum erheblichen Teil in Aktien investiert wurden. Das hat sich nun radikal geändert.
Es schien drei Jahre lang eine fast todsichere Sache zu sein: Man nehme einen Yen-Kredit zu extrem niedrigen Zinsen um die null Prozent auf und tausche das Geld in Währungen mit höheren Renditeerwartungen. Derartige Yen-Carry-Trades, eine Art Zinsdifferenzgeschäfte, wurden ab 2021 immer beliebter und speisten Käufe bei Tech-Aktien und anderen Risikoanlagen wie Bitcoin in großem Ausmaß. Schätzungen über das Wachstum der spekulativen Yen-Carry-Trades in den letzten drei Jahren schwanken zwischen mehreren Hundert Milliarden Dollar bis hin zu über einer Billion Dollar. Der Chef-Währungsstratege der Großbank Societe Generale, Kit Juckes, jedenfalls bezeichnet den Yen-Carry Trade als „den größten Carry Trade, den die Welt je gesehen hat“.
Zinswende in Japan stoppt die massive Yen-Abwertung
Während die Bank of Japan – Japans Notenbank – in den letzten Jahren stur ihre Negativzinspolitik beibehielt, zogen die Zinsen in den meisten anderen Regionen aufgrund der galoppierenden Inflation kräftig an. Kredite zu quasi Nullzinsen gab es fast nur noch in Yen. Da Zinsdifferenzen die Entwicklung der Wechselkurs entscheidend beeinflussen, wetteten die Kreditnehmer zudem darauf, dass der Yen aufgrund der gegensätzlichen Zinserwartungen gegenüber Dollar & Co. abwerten und damit die Kreditrückzahlung preiswerter machen werde. Und so kam es auch. Der Yen fiel und fiel. Eine erste zaghafte Zinsanhebung der Bank of Japan Ende März 2024 auf 0,0 bis 0,1% änderte am Sturzflug wenig, ebenso wie Stützungskäufe der Tokioter Währungshüter. Der Dollar kletterte bis zum 11. Juli auf das 38-Jahreshoch von knapp 162 Yen. Zum Jahreswechsel hatte er noch bei rund 140 Yen gelegen.
Erst als Gerüchte über eine neue Zinserhöhung und eine generelle Wende in der japanischen Geldpolitik aufkamen, begann der Yen nach oben zu drehen. Und als die Notenbank am 31. Juli die Leitzinsen tatsächlich auf 0,25% anhob und zudem eine allmählich Halbierung ihrer enormen monatlichen Anleihekäufe – also einen Liquiditätsentzug – verkündete, ging es steil nach oben. Der Dollar stürzte auf Kurse um 143 Yen ab – ein Minus von über 11% innerhalb von drei Wochen. Anleger, die sich Anfang Juli oder früher in Yen verschuldet hatten, saßen dadurch auf hohen Währungsverlusten. Da auch das Anlageziel Aktien zu schwächeln anfing, rannten viele dieser spekulativen Anleger schnell zu den Ausgängen, sprich sie kauften gezwungenermaßen Yen zurück, um die Kredite zurückzuzahlen. Denn die Kreditgeber verlangten zusätzliche Sicherheiten.
Maue Konjunktur in den USA und Europa weckt hohe Zinssenkungserwartungen
Unglücklicherweise traf die Wende in der Geldpolitik in Japan mit enttäuschenden Konjunkturdaten aus den USA und Europa zusammen. Das verstärkte die Erwartungen, die Fed und andere Notenbanken würden ab September die Zinsen stärker und schneller senken als noch vor kurzem angenommen. Die Zinsdifferenz zwischen Dollar und Yen würde damit weiter schrumpfen und die Vorteile eines Carry Trades verringern. Deshalb reagierten die Börsen so heftig. Insbesondere bei Assets, deren Preise zuvor mit Hilfe billiger Yen-Kredite besonders stark gestiegen waren, gab es massive Notverkäufe von Hedge Fonds, Devisenhändlern und anderen Großanlegern. Amerikanischen KI-Aktien wie Nvidia, Kryptowährungen wie Bitcoin oder auch Immobilien litten unter den Verkaufswellen. Und die Tokioter Börse brach am Schwarzen Montag um über 12% ein, weil viele japanische Privatleute Yen-Kredite aufgenommen und mit in- und ausländischen Aktien spekuliert hatten – und nun ebenfalls die Reißleine zogen.
Spekulation mit Yen-Carry-Trades sorgt weiter für nervöse Märkte
Obwohl es zuletzt zu einer Kurserholung kam, sind sich Experten nicht einig, ob das Gröbste überstanden ist oder ob weiteres Ungemach droht. Morgan Stanley jedenfalls geht davon aus, dass erst die Hälfte der spekulativen Yen-Carry Trades aufgelöst worden ist und damit weiterhin große Nervosität herrschen wird. Zumal der Yen trotz des steilen Anstiegs der letzten Wochen immer noch als stark unterbewertet gilt. Der frühere EZB-Chef Jean Claude Trichet bezeichnete jüngst den Yen-Höhenflug als überfällig und sah Spielraum für eine weiteren Aufwertung. Notverkäufe könnten also weiterhin die Märkte belasten. Zu den Entwicklungen, die Anleger beobachten sollten, gehört deshalb nicht nur, ob die Konjunktur weiter abdriftet, ob die geopolitischen Risiken weiter zunehmen und ob die amerikanischen und europäischen Notenbanken das Tempo der Zinssenkungen erhöhen. Die Aktionen der Bank of Japan und der Kursverlauf des Yen gehören ebenso zum Börsianer-Pflichtprogramm.
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