Als Anleihen wenig bis gar keine Renditen abwarfen, waren sie für Aktien keine echte Konkurrenz. Besonders für US-Staatsanleihen hat sich das dramatisch geändert. Insbesondere wegen der steigenden US-Schulden wächst die Angst, dass die Anleihezinsen weiter klettern und den Börsen immer mehr zusetzen. Nicht ohne Grund.
Mehr als ein Jahrzehnt lang hat nach dem Finanzcrash von 2007/2008 die Minizinsphase angehalten. Erst als die Inflation im vorigen Jahr rasant ins Laufen gekommen ist, haben die Währungshüter umgesteuert. Den Anfang hat die US-Notenbank Fed gemacht. Der schnellste und stärkste Anstieg der amerikanischen Leitzinsen seit über 40 Jahren war die Folge – von knapp über 0 Prozent auf fast 5,5 Prozent in nur 15 Monaten.
Renditesprung von US-Staatsanleihen verunsichert die Börsen
Die Renditen für Anleihen sind zunächst viel langsamer geklettert, seit Juli dieses Jahres aber förmlich in die Höhe geschossen. Die Verzinsung von US-Staatsanleihen mit 10 Jahren Laufzeit hat vor wenigen Tagen erstmals seit 2007 wieder die 5-Prozent-Marke erreicht. Das ist ein Anstieg um fast 1,5 Prozentpunkte in gut einem Vierteljahr und um fast vier Prozentpunkte innerhalb von knapp zwei Jahren. Normalerweise machen Anleihen Zinserhöhungen und -senkungen nur gedämpft mit, weil bei ihnen die Zinsen für längere Zeit festgeschrieben werden. Dabei besteht die Erwartung besteht, dass die restriktive Geldpolitik nur vorübergehend sein wird.
US-Staatsanleihen gelten als sicherste Zinsanlagen weltweit. Die Rendite der 10-jährigen „Treasuries beeinflusst nicht nur die Rentenmärkte sondern auch die Aktienbörsen weltweit entscheidend. Je höher die (realen) Renditen sind, desto mehr Anlegergeld fließt in Anleihen statt in Aktien. Und US-Staatsbonds sind in politischen Krisenzeit fast immer der sichere Hafen, in den Anleger flüchten, um jedes Risiko zu vermeiden. Dieses Mal ist jedoch alles anders: Obwohl der Krieg im Nahen Osten zum Krieg in der Ukraine hinzu gekommen ist, sind die Renditen der US-Staatsanleihen in den letzten Wochen unbeirrt weiter nach oben geschossen. Warum aber ist das so?
US-Schulden von über 33 Billionen Dollar
Die Gründe sind zwar vielschichtig. Aber neben den stark gestiegenen Leitzinsen und der unsicheren Weltlage ist es vor allem der unersättliche Geldhunger der Regierung von Joe Biden. Im Fiskaljahr 2023 (das am 30. September zu Ende gegangen ist) hat sie knapp 1,7 Billionen Dollar (nach fast 1,4 Billionen Dollar 2022) neue US-Schulden aufgehäuft. Die wurden zu einem erheblichen Teil mit der Ausgabe von Staatspapieren finanziert. Insgesamt belief sich der Schuldenberg der USA auf 33,2 Billionen Dollar. Das ist viel mehr als die Wirtschaftsleistung der USA (BIP) im Jahr 2022 von 25,5 Billionen Dollar und gut achtmal so viel wie das deutsche BIP von 4,1 Billionen Dollar.
Im vor einem Monat begonnen Fiskaljahr 2024 soll nach den Regierungsplänen die Neuverschuldung sogar rund 1,9 Billionen Dollar erreichen – unter anderem wegen der 740 Milliarden Dollar, die Biden in den nächsten Jahren mit seinem umstrittenen Inflation Reduction Act zur Bekämpfung von Inflation und Klimawandel ausgeben will. Und wegen der Militär- und Hilfsausgaben, die mit dem noch nicht gebilligten 106-Milliarden-Dollar Programm der Regierung für die Ukraine, Israel und Taiwan noch schneller klettern sollen. Bis Ende Oktober haben die US-Schulden schon auf 33,7 Billionen Dollar zugenommen – um eine halbe Billion Dollar innerhalb eines Monats.
US-Notenbank baut ihren riesigen Bestand an Staatsanleihen ab
In den Jahren zuvor war es für die USA ein Kinderspiel, immer höhere Schulden aufzuhäufen. Zum einen kostete die Finanzierung kaum Zinsen, und zum anderen kaufte die Notenbank einen erheblichen Teil der US-Schulden auf. Ihre expansive Politik des Quantitative Easing (QE) basierte vor allem auf Anleihenkäufen. Dadurch schuf die FED eine ungeheure Menge Liquidität. Innerhalb der gut zwei Jahre bis Mitte 2022 steigerte sie ihre Bilanzsumme auf mehr als das Doppelte, von 4,2 auf 9 Billionen Dollar. Fast 6 Billionen Dollar davon entsprangen den Käufen von Treasuries und anderen Staatspapieren.
Monat für Monat finanzierte die Notenbank so 80 Milliarden Dollar des US-Budgets. Zeitweise besaß die Fed etwa 20 Prozent aller Staatspapiere. Früher nannte man das verbotene Staatsfinanzierung mit der Druckerpresse – aber seit der Finanzkrise vor 15 Jahren hebelten die Notenbanken trickreich diese Regeln aus. Die EZB übrigens noch ungenierter als die Fed. Dass zu viel Geld im Umlauf die Inflation weckt, schienen Notenbanker und Politiker vergessen zu haben. Bis 2022.
Als die Inflationsrate im vorigen Jahr anfingen, durch die Decke zu schießen, reagierte die Fed relativ schnell. Sie startete ihre rekordverdächtigen Zinserhöhungen, stellte die massiven Anleihenkäufe nach und nach ein begann, ihre riesigen Bestände abzubauen. Statt monetäre Lockerung via QE herrscht jetzt monetäre Straffung – QT genannt für Quantitative Tightening. Allein in den zwölf Monaten bis zum 25. Oktober 2023 hat die Fed im Rahmen von QT für 633 Milliarden Dollar Staatsanleihen abgestoßen und ihren Treasury-Schatz auf gut 4,2 Billionen Dollar reduziert.
USA müssen viel höhere Zinsen als Deutschland zahlen
Da der größte Abnehmer von US-Staatsanleihen somit zum größten Verkäufer geworden ist, kommt zum stark steigenden Bond-Angebot für die Finanzierung der Defizite jetzt noch der Abbau der Anleihebestände der Fed hinzu. Und das stört das Angebots-Nachfrageverhältnis erheblich. Da die Anleger das wissen und zudem die Angst umgeht, die US-Staatsverschuldung könnte aus dem Ruder laufen, verlangen die Investoren höhere Renditen. Immerhin rentieren 10-jährige US-Staatsanleihen aktuell (1.11.2023) mit 4,8% um zwei Prozentpunkte höher als deutsche Bundesanleihen mit 2,8 %. Und das, obwohl die US-Inflation etwas niedriger ist als die deutsche. Aber die Schuldenquote – der Anteil der Staatsverschuldung am BIP eines Landes – ist in Deutschland mit 66 Prozent nur gut halb so hoch wie in den USA mit 123 Prozent, wo sie allmählich italienische Dimensionen erreicht. Ebenfalls mit steigender Tendenz.
Anleger misstrauen offensichtlich den Beteuerungen von Joe Biden und seiner Finanzministerin Janet Yellen, dass die USA auch die Beteiligung an zwei teuren Kriegen finanziell stemmen kann. Immerhin hat mit Fitch eine der drei großen Ratingagenturen die Einstufung der US-Staatsschulden gesenkt – von der Bestnote AAA auf AA+. US-Treasuries wären damit nicht mehr das Nonplusultra der sicheren Anlagen, wenn die beiden anderen großen Agenturen (S&P und Moody`s) Fitch folgen sollten.
Schnell steigende Zinszahlungen lassen die US-Schulden stark steigen
Die Schäden, die Washingtons immenser Kredithunger anrichtet, werden immer deutlicher sichtbar: Die Zinsausgaben der Regierung haben sich im Fiskaljahr 2023 auf 659 Milliarden Dollar fast verdoppelt, obwohl der Durchschnittszins mit 2,97% im Vergleich zu den aktuellen Kosten noch moderat war. Die Regierung müssen ja nicht nur neue US-Schulden viel teurer finanzieren, sondern nach und nach auch bestehende. Sobald die Laufzeit einer Anleihe endet, fallen für die Finanzierung statt null bis drei Prozent Zinsen nun fünf Prozent an. Finanzministerin Yellen steht denn auch unter Druck, weil sie die Phase der Null- und Minizinsen nicht genutzt hat, um den Großteil der Schulden mit langfristigen Treasuries zu finanzieren und damit die Niedrigzinsen für viele Jahre zu zementieren. Sie hat stattdessen zu lange erhebliche Summen kurzfristig finanziert, weil das bei Zinsen zwischen null und einem Prozent vorübergehend billiger war. Und das rächt sich jetzt.
Das Budgetamt des US-Kongresses hat schon im Mai, also vor dem steilen Renditeanstieg der letzten Monate prognostiziert, dass die Regierung in den nächsten 10 Jahren etwa 10,5 Billionen Dollar allein für Zinsen aufbringen muss. 2021 hatte das überparteiliche Amt noch mit 5,4 Billionen Dollar gerechnet. Manche Experten sind wesentlich pessimistischer und rechnen am Ende des Jahrzehnt mit bis zu 2 Billionen Dollar Zinszahlungen. Pro Jahr. Dann müssten bis zu 30 Prozent aller Staatsausgaben für Zinsen aufgewendet werden. Aktuell sind es etwa 14 Prozent.
Gefahr für die Konjunktur – und für die Börse
Diese immensen Zunahme der Staatsschulden hat die Renditen der Treasuries in den Sommermonaten massiv in die Höhe getrieben. Anleger, speziell Großanleger, wähnen sich nun in einer Position, in der sie die Konditionen diktieren können. Und sie erinnern Washington gern daran, dass Großbritannien 2022 einen ausgabefreudigen Budgetplan kürzten musste, weil die Renditen britischer Staatsanleihen so steil in die Höhe geschossen waren, dass wegen der Auswirkungen auf Pensionsfonds und andere Finanzinstitute Turbulenzen gedroht hatten.
Die USA haben zwar wegen der Rolle des Dollar als Leitwährung und als sicherer Hafen viel bessere Aussichten – aber zu sehr ausreizen sollte die Regierung diesen Bonus nicht. Sonst drohen trotz des Inflationsrückgangs weitere Rendite-Erhöhungen. Dann wären US-Anleihen noch attraktivere Konkurrenten für Aktien als jetzt schon. Und es würde die noch recht robuste amerikanische Konjunktur gefährden, da viele Kredite für Unternehmen und Verbraucher an die Zinssätze von US-Staatsanleihen gebunden sind. Das alles bekämen nicht nur die US-Börsen schmerzhaft zu spüren, sondern auch die meisten anderen Aktienmärkte.
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