Umfragen bei Profianlegern nach dem größten Risiko für Wirtschaft und Börsen belegen: Nicht mehr die Eurokrise macht am meisten Angst, sondern der Fiscal Cliff. Aber was ist das eigentlich – und warum ist ein Fiscal Cliff in den USA so gefährlich?
Angeblich hat Notenbankchef Ben Bernanke den Begriff Fiscal Cliff geprägt. Diese fiskalische Klippe, auf die sich die USA zubewegen, baut sich vor Amerika zur Jahreswende auf, falls sich Republikaner und Demokraten nicht auf neue Steuergesetze einigen. Dann laufen zeitlich beschränkte Steuererleichterungen aus und zugleich werden die Staatsausgaben automatisch stark gekürzt. Insgesamt geht es um nicht weniger als 668 Milliarden Dollar jährlich, die quasi von heute auf morgen Amerikas Konjunktur entzogen würden. Das sind stolze vier Prozent des US-Bruttoinlandsprodukts.
Der größte Brocken betrifft Steuersenkungen, die größtenteils noch aus der Bush-Ära stammen, aber auch von Barack Obama initiiert wurden. Und hier ist der Streit zwischen den beiden Parteien am größten. Die Republikaner wollen alle Steuersenkungen befristet verlängern, die Demokraten des Präsidenten auch – sie fordern aber eine Ausnahme: Die reichsten rund zwei der Prozent der Amerikaner sollen künfig auf die Ermäßigung verzichten, also höher als in den vergangenen Jahren besteuert werden. Die Demokraten wollen damit das gigantische Haushaltsdefizit von mehr als einer Billion Dollar reduzieren, die Republikaner möchten dagegen den Schwerpunkt der Konsolidierung auf die Ausgabenseite verlagern. Ohne Einigung müssten automatisch rund 136 Milliarden Dollar pro Jahr eingespart werden.
Vor der Wahl, da sind sich die Beobachter einig, wird sicherlich nichts mehr geschehen. Und ab dem 7. November ist das Zeitfenster bis Jahresende auch nicht gerade riesig. Ob und wie es dann zu einer Einigung kommt, hängt stark davon ab, wer Präsident wird und welche Partei in Senat und Repräsentantenhaus die Mehrheit haben wird. Bislang kann Obama seine Vorstellungen nicht durchsetzen, weil die Opposition im Repräsentantenhaus eine klare Mehrheit besitzt. Deshalb das Patt.
Die meisten Experten gehen zwar davon aus, dass es zumindest einen Minimalkonsens geben wird – wie üblich in letzter Minute – aber je nach Ausgestaltung wird die US-Konjunktur und mit ihr die Weltwirtschaft hart getroffen. Die EZB rechnet damit, dass ein vollkommener Fiscal Cliff den USA 2013 rund 1,3 und 2014 rund 1,8 Prozent Wachstum kosten wird, bei anderen Szenarien entsprechend weniger. Für ein Land, das sich auf einem Wachstumspfad von gut zwei Prozent bewegt, würde das Stagnation, vorübergehend sogar Rezesssion bedeuten, zumal ein unberechenbarer Vertrauenschaden in die größte Wirtschaftsmacht der Welt hinzukäme, mit Druck auf den Dollar.
Die Wochen nach der US-Wahl werden damit auch für die Börsen zur Nagelprobe. Manche Experten sehen einen weltweiten Börsencrash voraus, falls es zum Fiscal Cliff kommt. Optimisten dagegen verweisen darauf, dass nach der Wahl das Parteiengezänk in den Hintergrund treten und es wie immer einen Kompromss geben werde, der die Konjunktur kaum beeinträchtige. Und eine derart positive Überraschung wäre für sie der Auslöser für die nächste Stufe des Börsenaufschwungs.
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