In den vergangenen Tagen ist wieder einmal viel über Negativzinsen debattiert worden – vom Verbot von Strafzinsen für private Sparer bis hin zum Vorschlag, die Minuszinsen noch viel stärker in den negativen Bereich zu führen. Die naheliegendste Idee, sie ganz abzuschaffen, wird aber seltsamerweise kaum diskutiert.
Zum Jahresbeginn, so konnte man lesen, haben zahlreiche Geldinstitute Negativzinsen für neue Kundeneinlagen ab einer bestimmten Höhe beschlossen. Viel geschrieben wurde auch darüber, dass das Finanzministerium die Berechnung von Minuszinsen für private Sparer als gesetzwidrig einstufen und deshalb verbieten könnte – zumindest für bestehende Verträge. Uns schließlich hat ein Interview des Spiegel mit dem früheren IWF-Chefvolkswirt und US-Wirtschaftsprofessor Kenneth Rogoff für Aufregung gesorgt, weil er dort für noch heftigere Minuszinsen eingetreten ist. Er will davon allerdings die privaten Anleger verschonen, sie sollen vom Staat einen Ausgleich erhalten. Nur Pensionsfonds, Versicherungen und andere Großanleger sollten dafür zahlen müssen, dass sie den Banken Geld leihen.
Rogoff hat in früheren Interviews bereits dafür plädiert, Strafzinsen von bis zu sechs Prozent zu verhängen. Damit niemand ausweichen kann, schlug er ganz radikal zusätzlich ein Verbot von Bargeld vor. Er sieht es also als ganz normal an, dass Sparen hart bestraft werden und Schulden machen fürstlich belohnt werden soll. Denn es ist klar, dass bei Minuszinsen von bis zu sechs Prozent die Kreditkosten ebenfalls tief in den negativen Bereich fallen würden. Ein Paradies für Staaten wie die USA, Italien oder Frankreich, die immense Berge an Staatsschulden aufgetürmt haben, aber natürlich auch für Unternehmen und Häuslebauer. Der deutsche Staat hat laut Bundesbank in den Jahren ab 2007 insgesamt 436 Milliarden Euro an Zinskosten gespart – 2019 allein 58 Milliarden Euro. Da lässt es sich leicht ausrechnen, dass die viel stärker verschuldeten Euro-Staaten noch viel mehr Zinsausgaben eingespart haben.
Rogoff macht es sich zu leicht, wenn er zwar private Kleinanleger auf Staatskosten verschonen, aber die wichtigsten Altersvorsorgesysteme voll mit Minuszinsen belasten will. Das langfristig angelegte Geld der meisten Bundesbürger liegt nun einmal überwiegend in Lebensversicherungen, Pensionskassen und Riester-Verträgen. Und wenn diese Minuszinsen von ein paar Prozent aufgebrummt bekommen, würde das die gesamte private und betriebliche Altersvorsorge zur Farce machen. Denn Versicherungen und Co. legen die Gelder ihrer Kunden zu nahezu 90 % in Zinspapieren an.Da ließen sich selbst bei einem etwas höheren Aktienanteil als dem derzeitigen rund 5% Verluste nicht vermeiden.
Statt immer noch verrücktere Zinsvorschläge zu machen und die Negativzinsen – wie es die EZB macht – noch weiter zu in den negativen Bereich zu führen, sollte man vielleicht einmal den Blick nach Schweden werfen. Dort hat die Notenbank vorigen Monat offiziell das Ende der Negativzinsen von zuletzt 0,25% erklärt. Sie befürchtet nämlich, dass Minuszinsen, die es dort fünf Jahre lang gab, falsche Anreize für Unternehmen und Haushalte setzen und viele schädliche Nebenwirkungen zeigen. Das nennt man konsequent und mutig, einen Fehler einzugestehen und das Rad entschlossen zurückzudrehen.
Die EZB sollte sich daran ein Beispiel nehmen: Obwohl die Strafzinsen für Banken im Euroraum immer tiefer gesetzt worden sind – zuletzt im September auf -0,5% – schwächelt die Konjunktur ganz erheblich, die Sparquote in Deutschland ist, entgegen jeder Theorie, seit 2013 von 9,3% auf 11% gestiegen, die Inflation bleibt – ebenfalls entgegen der gängigen Theorie – hartnäckig sehr niedrig und viele Banken ächzen unter der Last der Negativzinsen so sehr, dass sie umzufallen drohen, sobald die Konjunktur in die Rezession abkippt. Noch ein paar Jahre Negativzinsen, wie es die EZB bisher geplant und kommuniziert hat, drohen deshalb enorme Langfristschäden anzurichten. Die neue EZB-Chefin Christine Lagarde hat nun die Chance, Mario Draghis Kurs zu ändern und behutsam von der Negativzinspolitik Abschied zu nehmen. Denn sie hat die bisherige Politik nicht mit zu verantworten und kann deshalb leichter davon abrücken als es Draghi gekonnt hätte.
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