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Europäische Schnapsidee

Mit jeder Herabstufung eines Euro-Staates und mit jeder Androhung schlechterer Benotung wächst die Kritik in Europa an den drei großen Ratingagenturen. Aber die immer wiederkehrende Idee, eine eigene Ratingagentur der Macht des amerikanischen Trios entgegenzusetzen, war und ist eine Schnapsidee. Die Europäer sollten ihre Energie lieber für Änderungen am bestehenden System einsetzen.

Wenn selbst der bestens in Wirtschaft und Politik vernetzte Roland Berger keine Chance mehr sieht, eine europäische Ratingagentur auf die Beine zu stellen, scheint die Sache aussichtslos zu sein. Auch das Bertelsmann-Konzept krankt an vielem – vor allem daran, dass die Staaten Gelder zuschießen sollen. Kenner der Szene hatten ohnehin schon immer klar gemacht, dass es blauäugig wäre, eine europäische Agentur binnen kurzem konkurrenzfähig zu machen.

Die drei großen Amerikaner haben jeweils mehr als 1000 Mitarbeiter, der Großteil davon Kreditanalysten mit langer Erfahrung. Und S+P sowie Moody´s erstellen pro Jahr nicht weniger als gut eine Million Kreditratings. So einen Apparat mit so einem know how aufzubauen, kostet viel Zeit – und Zeit ist angesichts der teuren Spezialisten Geld. Über die Qualität der Urteile der Amerikaner lässt sich zwar trefflich streiten, vor allem in der US-Immobilienkrise haben sie voll daneben gelangt. Aber die Urteile über die europäischen Staaten waren im Nachhinein betrachtet so falsch auch wieder nicht. Eher waren die Rater zu zaghaft als, wie von den Euro-Regierungen beklagt, zu forsch. Und dass sie jetzt, dank Rettungsschirmen und sonstiger horrender Verpflichtungen, neue drohenden Belastungen der EU-Haushalte befürchten, ist leicht nachvollziehbar.

Auch der immer wiederkehrende Vorwurf, Europas Staaten würden schlechter behandelt als die USA, hat so seine Tücken. Anders als in Europa, wo inzwischen jeder Staat für die Schulden aller mithaftet, gilt das in den Vereinigten Staaten in keiner Weise. Wenn dort ein Bundesstaat pleite ist, läßt das Washington kalt und die Regierung rührt keinen Finger. Bei ähnlicher Schuldenquote stehen damit die USA deutlich besser da als die europäischen Staaten.

Eine eigene Euro-Agentur hätte vermutlich zudem in der Anfangsphase große Probleme, die Anleihenemittenten und die Großanleger von der Qualität ihrer Urteile zu überzeugen. Vor allem hinsichtlich des Staaten-Ratings. Benotet sie ein europäisches Land besser als S+P und die anderen beiden, heißt es sofort Gefälligkeitgutachten; ratet sie schlechter, könnte man meinen, dass sie mehr Einblick in die tatsächliche Schuldenmalaise bekommen hat als die Amerikaner und deshalb mehr weiss.

Dies alles sind schwer überwindbare Hürden für eine europäische Ratingagentur. Deshalb sollten die Politiker, Unternehmen und Banken des Alten Kontinents ihre Kräfte lieber verwenden, um das US-Trio zu mehr Transparenz zu zwingen. Die Beurteilungen kranken ja vor allem daran, dass sie nicht nachvollziehbar sind und dass jeder seine eigenen Regeln und Methoden entwickelt hat. Angesichts der eminenten Bedeutung des Ratings – viel mehr für Unternehmensanleihen als für Staatsbonds, die nach den internationalen Anlagevorschriften für Banken- und Versicherungen witzigerweise ohenhin als risikolos eingestuft werden – ist das viel dringlicher, als mit Gewalt eine eigene Agentur aus dem Boden zu stampfen.

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