Der Rekordjagd der europäischen Aktienmärkte droht aus einer Ecke Gefahr, von der man es noch vor ein paar Wochen am wenigsten erwartet hätte: einem starken Euro. Die Gemeinschaftswährung nähert sich einer Kurszone, ab der die Konjunktur und die Unternehmensgewinne im Euroraum Schaden leiden dürften.
Mit einem Kurssprung auf bis zu 1,1264 hat gestern der Euro auf eine Äußerung der Bundeskanzlerin reagiert. Angela Merkel hatte gesagt, der Euro sei zu schwach – und damit im Endeffekt das brav nachgebetet, was US-Präsident Donald Trump und seine Wirtschaftsberater seit Februar der EZB und Euroland vorwerfen. Allerdings lag damals der Eurokurs noch bei 1,05 Dollar, also um stolze sechs Prozent niedriger als jetzt.
Den Euro-Höhenflug aber nur auf politische Willensäußerungen zu schieben, wäre zu kurz gesprungen. Natürlich wird der Devisenhandel vorsichtig, wenn die USA einen schwächeren Dollar, bzw. stärkeren Euro wünschen und Deutschland sich nicht dagegen stellt. Aber daneben gibt es mindestens drei Gründe, warum die Gemeinschaftswährung aufwärts strebt:
Erstens hat sich natürlich mit dem Wahlsieg Emmanuel Macrons das Risiko eines Euro-Zerfalls stark verringert.
Zweitens, und das ist besonders wichtig, wächst die Wirtschaft der Eurozone derzeit deutlich stärker als die US-amerikanische. Und die Frühindikatoren signalisieren, dass Europas Konjunktur noch stärker zulegen könnte, während sich die US-Daten zuletzt eher enttäuschend gezeigt haben. Der Schub, den viele sich von Steuersenkungen und Infrastrukturprogrammen Trumps erhofft hatten, ist bislang ausgeblieben, weil die beiden Konjunkturtreiber nicht auf die Schiene kommen und damit zum einen später als erwartet greifen, und zum anderen vermutlich auch viel weniger voluminös ausfallen als es Trump versprochen hatte. Damit dürfte das, was es seit langem nicht mehr gegeben hatte, noch eine Weile anhalten: Ein Wachstumsgefälle zugunsten der Eurozone.
Drittens wirken sich die veränderten Konjunkturaussichten auch auf die Zinspolitik aus, die ja immer ein Hauptfaktor an den Devisenmärkten ist. Während in den USA die ersten Experten daran zweifeln, ob die Fed 2017 tatsächlich noch zwei Zinserhöhungen beschließen wird, erwarten die Märkte von der EZB, dass sie spätestens in der September-Sitzung, möglicherweise aber auch schon im Juni darüber informieren wird, dass das gigantische Anleihenkaufprogramm Ende 2017 einer schrittweisen Abnahme des Volumens von derzeit 60 Milliarden Euro monatlich weichen wird. Und dass damit die erste Zinserhöhung vielleicht schon Ende 2018 und nicht erst 2019 greifen wird.
Diese Gründe sprechen für einen anhaltend starken Euro. Und da beginnt es allmählich gefährlich zu werden. Der Euro hatte in den letzten gut zwei Jahren in einem Kursband von grob 1,04 bis 1,15 Dollar geschwankt. Falls er aus diesem Band nach oben ausbricht, könnte es ungemütlich werden für die europäische Konjunktur. Denn das würde ihre internationale Konkurrenzfähigkeit zur Unzeit schwächen. Das gilt weniger für die deutschen Unternehmen, die auch mit einem höheren Euro einigermaßen gut leben könnten – wenn auch, vor allem bei den Gewinnen, weniger gut als im starken ersten Quartal 2017. Vielmehr würde es die schwächeren Euro-Mitgliedsländer wie Italien, Frankreich, Griechenland hart treffen – und die Konjunktur in den stärkeren Staaten wie Deutschland, Niederlande, Österreich etc. mit nach unten ziehen.
Dass so ein Szenario die europäischen Aktienmärkte nicht kalt lassen würde, ist klar. Ein zu starker Euro ist damit zum größten Risiko für die Börsenhausse geworden. Anleger sollten deshalb jetzt besonders intensiv die nächsten Konjunkturdaten in Europa und den USA beobachten, und natürlich auch, wie sich die EZB nach ihrer Juni-Sitzung äußert. Und selbstverständlich sollten sie den Euro-Dollarkurs im Blick haben und vorsichtiger agieren, falls der Euro die Marke von 1,15 Dollar nachhaltig überspringt.
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