EZB-Chef Mario Draghi hat die Börsen mit seinen Andeutungen über eine Straffung der Geldpolitik schwer verunsichert. Zuerst stiegen die Anleihenrenditen, und dann fielen die Aktienkurse – und beides in den letzten Tagen recht kräftig. Jetzt geht die Angst um, die Aktienmärkte könnten in der zweiten Jahreshälfte stark nach unten gehen.
Die Bilanz des ersten Halbjahres kann sich trotz der Korrektur der letzten Tage sehen lassen: Der MSCI-World-Index legte um 10%, der DAX um 8% und der Dow Jones um 7% zu. Noch viel besser erging es den Tech-Indizes mit 15% Plus beim Nasdaq 100 und sogar 20% beim TecDAX. Die in Dollar notierten Indizes waren allerdings nach der Umrechnung in Euro bei weitem nicht mehr so stark. Denn die US-Währung verlor 9% und zehrte die Aktiengewinne für Anleger aus der Eurozone beim Dow Jones mehr als auf, und beim MSCI World und beim Nasdaq 100 zu einem erheblichen Teil.
Nach den Aussagen Draghis haben sich die Renditen zehnjähriger Bundesanleihen binnen Tagen auf 0,46% glatt verdoppelt, und auch international ging es mit den Bondrenditen aufwärts. Die Zinsen sind im Vergleich zur Inflationsrate von derzeit 1,5% in Deutschland zwar immer noch extrem niedrig – aber die Märkte scheinen davon überzeugt zu sein, dass das Ende der ultralockeren Geldpolitik endgültig naht, zumal auch die Chefs der Bank of England und der Bank of Canada in dieser Woche entsprechende Andeutungen gemacht haben.
Ein Abschied von der fast schon zur Gewohnheit gewordenen Nullzinspolitik bei den Notenbanksätzen und von den voluminösen Anleihekäufen von derzeit monatlich 60 Milliarden Euro durch die EZB wird allerdings schon seit einiger Zeit erwartet, dürfte also keine Riesenüberraschung mehr sein. Trotzdem sind die Börsen verunsichert, weil niemand Erfahrungen darin hat, welche Folgen das Ende einer Politik zeitigen wird, die in puncto Zinshöhe und Aufblähung der Bilanzsummen der Notenbanken historisch ohne Beispiel ist. Klar ist, dass die Währungshüter, von Draghi bis Yellen, einen sanften Ausstieg anstreben und alles daran setzen werden, jegliche starken Friktionen zu unterbinden. Trotzdem ist das Unterfangen, wie ein Banker unlängst sagte, „ein Ritt auf der Rasierklinge.“
Ein Grund für die erhöhte Unsicherheit der letzten Tage ist aber auch, dass sich die Konjunktur in Europa und den USA auseinanderentwickelt, und zwar in eine Richtung, die noch vor einem halben Jahr kaum jemand für möglich gehalten hätte: Die US-Wirtschaft schaltet einen Gang zurück, während Europa das höchste Wachstumstempo seit der Finanzkrise erzielt, also seit zehn Jahren. Deshalb muss das Zins-Drehbuch umgeschrieben werden. Aus heutiger Sicht werden die USA die Zinsen eher weniger oft erhöhen als bisher angenommen, während die EZB vermutlich ihr Anleihenkaufprogramm schon Mitte 2018 ganz auslaufen lässt und damit ab Ende 2018 theoretisch die erste Zinsanhebung starten könnte.
Diese Diskrepanz zu den bisherigen Markterwartungen wirkt verunsichernd – und hat zunächst dazu geführt, dass der Euro bullenstark ist und gegenüber dem Dollar mit über 1,14 ein 13-Monats-Hoch erklommen hat. Das weckt Befürchtungen, ein zu starker Euro könnte den Aufschwung im exportlastigen Europa abwürgen – und falls die US-Konjunktur noch mehr Schwächezeichen von sich gibt, sogar schneller als gedacht.
Es gibt also durchaus Gründe, vorsichtiger zu sein, zumal nach einem so langen und starken Kursanstieg eine Verschnaufpause an den Aktienmärkten ohnehin überfällig ist. Ein richtig schwaches zweites Halbjahr ist aber nur zu erwarten, wenn der Euro auf Kurse über 1,20 Dollar klettert und die US-Wirtschaft tatsächlich noch weiter an Elan verliert. US-Notenbankchefin Janet Yellen hat diese Delle zuletzt ja als nur vorübergehend bezeichnet, aber wenn sie sich irrt, werden die Prognosen für Wachstum und Unternehmensgewinne deutlich nach unten korrgiert werden. Und das wäre dann ein Anlass für einen kräftigen Kursrutsch um 10% und mehr. Denn langfristig geben die Unternehmenserträge den Takt an den Börsen vor.
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