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Freitagsfrage: Warum Europas Banken-Stresstest so umstritten und dennoch hilfreich ist

Schlecht geplant und noch schlechter kommuniziert: Der Stresstest für Europas 91 größte Banken ist ein Musterbeispiel dafür, wie man eine gute Sache so beschädigen kann, dass alle fast nur noch das Negative daran sehen. Dabei ist die groß angelegte Analyse trotz der chaotischen Durchführung ein wichtiges Instrument, um das Vertrauen in den Finanzsektor wiederherzustellen. Der Sinn und Zweck eines Stresstests im Allgemeinen und des aktuellen der europäischen Banken im Besonderen ist nämlich vielschichtiger als es manche Kritiker wahrhaben wollen.

Stresstests werden durchgeführt, um anhand verschiedener Szenarien die Belastbarkeit von Unternehmen in Krisensituationen zu untersuchen. Erstmals in den Fokus der breiten Öffentlichkeit gerückt sind sie 2002/2003, als sich die vom Börsencrash besonders hart getroffene deutsche Versicherungsbranche diesem Prozedere unterziehen musste. Beim aktuellen Banken-Stresstest wird untersucht, wie sich das in der Finanzkrise ramponierte Eigenkapital der Geldinstitute verändert, wenn die Konjunktur erneut einbricht – also der so genannte double dip mit seinen Kreditausfällen und Aktienverlusten eintritt – und die Kurse der europäischen Staatsanleihen ähnlich deutlich nachgeben wie im Frühjahr dieses Jahres. Sinkt die Eigenkapitalquote (gemessen am sog. Tier-1-Kapital) unter die Sechs-Prozent-Marke, ist der Test nicht bestanden, liegt er nur knapp darüber, signalisiert das den Eigentümern trotzdem Handlungsbedarf, sprich eine Aufstockung des Eigenkapitals.

Kritik hat sich zu Recht vor allem am Tohuwabohu im Vorfeld des Tests entzündet. Die Kriterien wurden nämlich nicht vorher exakt festgelegt, sondern auf politischen Druck hin immer wieder verändert. Das hat das Verfahren intransparent gemacht und viel zur schlechten Stimmung beigetragen. Kritiker werfen der EU vor, die Kriterien so weich gespült zu haben, dass möglichst wenige Banken durchfallen. So wird moniert, dass bei Griechen-Anleihen im Krisenszenario „nur“ ein Kursverfall um rund ein Viertel unterstellt werde, bei einer Pleite Hellas aber eher eine Kurshalbierung realistisch sei. Die EU kann es sich aber politisch einfach nicht leisten, trotz des enormen Rettungsschirms für Athen eine mögliche Staatspleite anzunehmen. Das würde ihre Hilfsmaßnahmen wenig glaubwürdig erscheinen lassen.

Beim oben angesprochenen Versicherungs-Stresstest im Frühjahr 2003 lautete dagegen der Vorwurf umgekehrt, die Testvorgaben seien unrealistisch streng. Diese Strenge hatte verheerende Auswirkungen. Weil die deutschen Versicherer den Test um jeden Preis bestehen wollten, warfen sie in den Wochen zuvor Aktien zu Schleuderpreisen auf den Markt. Dieser immense Verkaufsdruck trug maßgeblich dazu bei, dass der DAX in den ersten beiden Monaten 2003 nochmals massiv einbrach – und anders als die meisten anderen großen Indizes erst Anfang März 2003  und nicht im Herbst 2002 den Tiefpunkt erreichte. Den Schaden der strengen Testvorgaben hatten alle Aktienanleger – der DAX fiel in der kurzen Zeit um rund ein Viertel -, die Versicherungskunden, weil die Assekuranz zu Tiefpreisen und oft mit Verlust verkaufen mussten, und auch die gesamte Volkswirtschaft. Denn der nochmalige Börseneinbruch hemmte den Konjunkturufschwung. Die Folgen des damaligen Stresstests spüren die Versicherer übrigens immer noch: Sie haben seither ihre Aktienquote per Saldo nicht mehr erhöht, ihre Kunden haben deshalb kaum von der Aktienhausse bis 2008 profitiert, als der DAX von 2200 auf 8100 Punkte nach oben schoss.

Dieser Fehler einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung soll beim Banken-Stresstest vermieden werden. Würde nämlich mit den Ergebnissen Panik geschürt, stünden die fragilen Finanzmärkte und die Weltwirtschaft sofort unter dem Stress, der mit dem Frühwarnsystem Stresstest verhindert werden soll. Trotzdem macht der „weiche“ Test vor allem dann Sinn, wenn nach der Bekanntgabe der Ergebnisse auch die genaue Methodik mitgeteilt wird. Die USA, die vor gut einem Jahr ihre Banken so einem Stresstest unterzogen haben, hatten die Kriterien von vornherein fest- und offengelegt. Die Experten konnten dann anhand der Ergebnisse und der Methodik viel tiefere Einblicke gewinnen als es das Urteil bestanden oder nicht bestanden ausdrückt. Hinzu kommt, dass die europäischen Banken ihre gesamten Engagements in Staatsanleihen offenlegen müssen. In diesem brisanten Bereich wird also ein hohes Maß an Transparenz erzeugt. Und nicht zuletzt wird der Test auch die großen Unterschiede zwischen den verschiedenen Banken zeigen und die schlecht mit Kapital ausgestatteten Unternehmen zur Beschaffung von frischem Geld zwingen. So gesehen markiert der Stresstest den Beginn einer neuen Rekapitalisierungsphase, und nicht das Ende der Aktionen, die seit der Fast-Pleite der amerikanischen Investmentbank Bear Stearns unternommen wurden.

Die Absicht der EU war und ist es, mit dem Stresstest das Vertrauen der Anleger in die Banken und vor allem das Vertrauen der Geldinstitute untereinander zu verbessern. Nur so kann der Interbanken-Geldmarkt wieder voll funktionsfähig werden. Das wiederum ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Kredit- und Kapitalmärkte im Konjunkturaufschwung ihre Finanzierungs- und Risikoverteilungfunktion wahrnehmen. In den USA hat das 2009 geklappt. Obwohl es auch dort Kritik gab, nahm das Vertrauen in die Banken nach dem Stresstest deutlich zu. Das kam der Konjunktur zugute – und auch den US-Bankaktien. Die verbuchten in den folgenden sieben Monaten im Schnitt 36 Prozent Kursgewinn. Mal schauen, ob Europas Geldhäuser da einigermaßen mithalten können.

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