„The German Model“ – das deutsche Wirtschaftsmodell gilt inzwischen weltweit als Vorbild für Wirtschaftspolitiker. Und tatsächlich: Seit den Arbeitsmarktreformen von Kanzler Gerhard Schröder schlägt sich die deutsche Wirtschaft wacker. Weniger Arbeitslose, mehr Wachstum, Überschüsse in den Sozialsystemen – trotz aller weltweiten Krisen. Alles in Butter also? Nein, ganz und gar nicht, sagen namhafte Wissenschaftler.
Christoph Schmidt, Chef des Sachverständigenrats, beklagt gar einen regelrechten Reformstau und mahnt ein Bündel von Maßnahmen an: Eine Lockerung des Kündigungschutzes, eine Beteiligung der Patienten an den Behandlungskosten und eine Erhöhung des Rentenalters auf 70 Jahre. Alles Maßnahmen, die für viele aus dem Folterkasten neoliberaler Freaks stammen und derzeit politisch so gut wie keine Chance haben.
Zeitgleich hat die Ruhr Universität Bochum im Auftrag der Bertelsmann Stiftung eine Studie zum Rentensystem vorgelegt, die einen das Fürchten lehrt. Denn nach und nach werden die geburtenschwachen Jahrgänge ihr Arbeitsleben beenden. Schon 2030 wird der Anteil der über 65-Jährigen demnach von heute 30 auf 49 Prozent geklettert sein. 2060 werden es 63 Prozent sein. Ein Erwerbstätiger muss in nicht allzu ferner Zukunft also mindestens einen Rentner versorgen – Tendenz steigend.
Das ist ein riesiges Problem, das die Politik bislang sträflich vernachlässigt hat. Und natürlich brauchen wir einen Mix aus Maßnahmen, um es zu bewältigen: ein höheres Rentenalter, höhere Beiträge, mehr Versicherte und bessere Bildung, um möglichst viele Menschen in Arbeit zu bringen. Aber brauchen wir dazu auch noch mehr Marktwirtschaft? Weniger Kündigungsschutz, keine Lohuntergrenzen?
Ich denke nein, denn gerade für die Sozialversicherungen ist es wichtig, dass möglichst viele reguläre Jobs entstehen. Die Unternehmen haben heute die Möglichkeit, ihre Beschäftigten zu einem großen Teil als Leiharbeiter einzustellen, oder eine kleine Stammmannschaft mit vielen 400-Euro-Jobbern zu ergänzen. Die Altersarmut ist so vorprogrammiert, den Rentenkassen brechen die Einzahler weg.
Damit kein Missverständnis entsteht: Ich sehe durchaus die Notwendigkeit, weltweit konkurrenzfähig zu bleiben. Ich sehe allerdings auch, dass Unternehmen die Regeln so weit ausschöpfen, wie es eben geht. Politik ist immer die Suche nach der goldenen Mitte. Und muss ständig nachjustiert werden. Höchste Zeit in meinen Augen, die Gesetze zu Leiharbeit und 400-Euro-Jobs nachzubessern.
Allerhöchste Zeit aber vor allem, die Probleme der Altersvorsorge in Deutschland anzupacken. Zumal die Versicherungsindustrie und die Politik mit dem Riestermodell keine wirklich attraktive eigene Vorsorge geschaffen haben. Also liebe Politiker: Sagt uns endlich, dass wir tatsächlich länger arbeiten werden, seid ehrlich und erhöht die Beiträge, sorgt für eine gute Zuwanderungspolitik. Fangt endlich an, die Rente zu sichern. Spätestens nach der Bundestagswahl.
Interessanter Artikel, vielen Dank.