In den letzten Monaten hatte es den Anschein, als wären die Aktienmärkte nur noch der Wurmfortsatz des Ölmarkts. Fällt der Ölpreis, gehen auch die Aktienkurse in die Knie, steigt er, so wie kurzzeitig Ende voriger Woche, schnellen sie mit nach oben. Ist diese Abhängigkeit gerechtfertigt?
Gemeinhin gelten niedrige Energiepreise als positiv für die Börsen. Denn Konsumenten verfügen über mehr Kaufkraft, Unternehmen müssen weniger für Öl und Gas ausgeben und die Inflation und damit auch das Zinsniveau wird gedrückt. Doch diesmal ist alles anders, obwohl der Preissturz die Ölverbraucher pro Jahr um 3 Billionen Dollar entlastet. Die Investmentbank Merrill Lynch nennt das den größten Vermögenstransfers, den die Welt je erlebt hat.
Er macht sich allerdings viel weniger schnell positiv bemerkbar als früher, weil die Konsumenten vorsichtiger geworden sind, weil die Angst vor einer Deflation wieder umgeht und die Investitionslust hemmt und weil viele den Ölpreisrutsch als Folgen der schwachen Konjunktur, ja sogar als Vorboten einer Weltrezession ansehen. Und nicht zuletzt herrscht in den USA die Furcht vor einer Kreditkrise, weil viele Firmen, die ihr Geld mit Fracking verdienen, bei den jetzigen Preisen früher oder später pleite sein dürften. Damit stehen rund 250 Milliarden Dollar allein an Anleihen im Feuer.
Und nicht zuletzt bauen die großen Ölförderstaaten wie Saudi Arabien und die Emirate ihre enormen Vermögen notgedrungen wieder ab, weil ihre Staatshaushalte tiefrot sind. Und das bedeutet, dass diese Länder – meistens über ihre Staatsfonds – Wertpapiere in großem Stil auf den Markt werfen. Das betrifft zwar vor allem Anleihen, aber auch in zunehmendem Maße Aktien und Beteiligungen. Und dieser Verkaufsdruck lastet seit Monaten auf den Aktienkursen.
Trotzdem scheinen die Ängste doch übertrieben zu sein. Die Investmentbank Morgan Stanley hat ausgerechnet, dass sich die Daten zur US-Konjunktur vor allem wegen der Probleme der Ölunternehmen verschlechtert haben. Rechnet man deren Beitrag heraus, zeigt es sich, dass die Industrieproduktion, der Arbeitsmarkt und andere Indikatoren nach wie vor deutlich aufwärts streben. Ähnliches gilt für die Unternehmensgewinne, deren Stagnation die Anleger besonders beunruhigt. Die Gewinne gehen hier nur bei den Energiefirmen steil nach unten, während sie beim Rest der Unternehmen weiterhin steigen, und zwar in den USA ebenso wie in Europa.
Die positiven Effekte des Ölpreisverfalls werden also zurzeit fast völlig ausgeblendet, während die negativen übergewichtet werden. Das hat dazu geführt, dass Aktien weltweit so billig geworden sind wie seit Jahren nicht mehr. Sobald sich die Ölpreise einigermaßen stabilisieren oder nach oben drehen, wird das zu kräftigen Kurssprüngen führen. Denn dann wird vielen erst klar werden, dass die Lage der Weltwirtschaft nicht ganz so düster ist wie vielen sie zur Zeit erscheint.
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Gibt es eine exakte Quelle zur Industrieproduktion in den USA,abzüglich des Ölsektors? Speziell würde mich interessieren,wie groß der diesbezügliche Anteil der Ölindustrie ist. Insgesamt sieht es ja eher danach aus, als schrumpfe die Industrieproduktion, also alles zusammengenommen.
Die Quelle lautet:
bloomberg.com/news/articles/2016-02-02/morgan-stanley-this-is-what-a-world-without-oil-looks-like