„S**, Luxus und ein geiler Haarschnitt“ – so wirbt eine Unisex-Friseurkette im Internet für ihre Dienstleistung. Was bei Mode, Accessoires, Sonnenbrillen, Parfüm, Toiletten und offenbar auch im Friseurhandwerk bereits weit verbreitet ist, ist der Versicherungsbranche noch eher fremd. Bislang gilt bei bestimmten Policentypen das Geschlecht als ein Risikofaktor, der in die Tarifgestaltung berücksichtigt wird, sofern es statistisch belegbare Risikounterschiede gibt. Doch das soll ab 21.12.2012 nun anders werden, hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der Rechtssache C-236/09 entschieden.
Er kippte damit eine Ausnahmeregelung der so genannten EU-Antidiskriminierungs-Richtlinie Nr. 2004/113/EG für die Versicherungswirtschaft. Bislang gilt etwa in Deutschland, dass Frauen für Rentenversicherungen oder private Krankenversicherungen tiefer in die Tasche greifen müssen als Männer. Denn Frauen in Deutschland haben derzeit eine um rund fünf Jahre höhere Lebenserwartung, die Rentenversicherung muss also länger für sie zahlen. Außerdem gehen Frauen häufiger zum Arzt und verursachen mehr Kosten – man denke nur an die Geburt von Kindern. Dass für die „Produktion“ von Kindern auch die Beteiligung von Männern vonnöten ist, wird offenbar bei der Tarifkalkulation nicht berücksichtigt. Billiger kommen vor allem jüngere Frauen bei KFZ-Versicherungen weg – weil sie im Schnitt offenbar die vorsichtigeren Fahrer sind. Männer wiederum gelten als risikofreudiger und müssen ihre mobilen Statussymbole teurer versichern. Auch bei Risikolebensversicherungen müssen sie höhere Prämien zahlen – weil eben schneller mit ihrem Ableben zu rechnen ist.
Künftig darf das Geschlecht jedoch keine Rolle mehr spielen bei der Tarifgestaltung, hat der EuGH entschieden. Die Assekuranz wurde verpflichtet so genannte Unisex-Tarife anzubieten, wie sie etwa bei Riester-Policen bereits seit mehreren Jahren verpflichtend sind. Betroffen sind allerdings nur Policen, die ab dem Stichtag im Dezember 2012 neu abgeschlossen werden.
Die Versicherungswirtschaft bedauerte das Urteil: „Mit der Entscheidung wird ein zentrales Prinzip der privaten Versicherungswirtschaft, nämlich das Prinzip der Äquivalenz von Beitrag und Leistung, in Frage gestellt“, heißt es beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Verbraucherschützer begrüßen dagegen die Unisex-Tarife: „Nur weil das Merkmal Mann und Frau einfach zu erheben ist, ist das kein Grund dafür, das jeweilige Geschlecht in statistische Sippenhaft zu nehmen“, meint Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) – und verweist darauf, dass aufgrund des gesellschaftlichen Wandels verhaltensbedingte Faktoren einen viel größeren Stellenwert für die Gesundheit einer Person und ihre Lebenserwartung hat als das Geschlecht. Schließlich soll es auch Frauen geben, die gerne einen heißen Reifen fahren, und Männer, die brav zum Arzt gehen. Die Deutsche Aktuarvereinigung wendet jedoch ein: Die Angleichung der Lebensumstände von Männern und Frauen habe nicht zur Verringerung des Unterschieds in der Lebenserwartung geführt – schon 1962 habe der Unterschied etwa fünf Jahre betragen.
Die Prämien für beide Geschlechter werden sich in Folge des Urteils also angleichen müssen – die Frage ist nur, auf welchem Niveau. Die Assekuranz verwies darauf, dass einheitliche Tarife zu einem insgesamt höheren Prämienniveau führen würden – „Dampfplauderei“ nennt das der Bund der Versicherten. Schließlich gebe es einen konstanten Schadenaufwand, der nun lediglich nicht mehr nach Geschlechtern getrennt auf alle Versicherungskunden verteilt werden müsste. Auch der vzbv befürchtet, dass die Versicherungsbranche das Urteil für eine Prämienangleichung nach oben nutzen könnte: „Die Aufsichtsbehörden müssen sicherstellen, dass unterm Strich die Beiträge für die identische Leistung nicht steigen werden“, fordert Billen.
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