„Angst vor Ölkrise“ – so lautet heute die Schlagzeile der Bild-Zeitung. An den Börsen ist diese Angst schon länger zu spüren, denn Anleger und Ökonomen machen sich Gedanken darüber, ob der Ölpreisschub der letzten Wochen den Aufschwung der Weltwirtschaft und mit ihm die Aktienhausse gefährden könnte. Ist diese Furcht berechtigt?
Die Unruhen in Tunesien und dann Ägypten haben die Ölmärkte und die Börsen noch einigermaßen gut verkraftet – aber die Gewalt in Libyen hat die Lage schlagartig verändert: Der Preis für Brent-Öl schoss zeitweise auf fast 120 Dollar je Faß in die Höhe, hat sich allerdings wieder auf 110 Dollar reduziert, weil Saudi Arabien eine rasche und deutliche Ausweitung seiner Ölförderung versprochen hat. Gleichwohl bleiben die Ängste. Libyen ist zwar nur die Nummer 17 unter den Ölförderländern und trägt mit 1,3 Millionen Faß lediglich knapp 1,5 Prozent zum täglichen Gesamtoutput von 88 Millionen Barrel bei – aber die Sorgen reichen viel weiter.
Wenn Libyen weiter brennt, die Unruhen im wichtigen Ölumschlagplatz Bahrain anhalten und die Revolution auch auf andere Staaten in Nordafrika und dem Mittleren Osten überschlägt, könnte ein erheblicher Ausfall drohen. Von dorther kommt rund ein Drittel der Ölproduktion. Wobei die größte Gefahr von Saudi Arabien ausgeht. Das Land ist zwar nur noch drittgrößter Ölförderer – nach Russland und den USA -, aber es fungiert als Lückenfüller, weil es das einzige Förderland mit nennenswerten freien Kapazitäten ist. Sie werden auf vier Millionen Barrel pro Tag veranschlagt. Wenn die saudische Produktion von zur Zeit noch knapp neun Millionen Barrel länger ausfällt, sind laut dem japanischen Brokerhaus Nomura Ölpreise bis zu 220 Dollar möglich – das wären noch einmal gut 60 Dollar mehr als beim Rekordstand 2008. Ökonomen sehen die Gefahrenschwelle für die Weltwirtschaft schon viel eher – bei 120 bis 140 Dollar. Allerdings gilt das nur, wenn diese Preisspanne für lange Zeit anhält.
Warum aber ist der Ölpreis so wichtig für Konjunktur und Börsen? Zum einen ist Öl das mit Abstand am meisten gehandelte Gut der Welt, das in viele Bereiche von Unternehmen und Konsumenten hinein wirkt. Der Benzin- und Heizölpreis ist nur der sichtbarste Teil davon. Eine rapide und langanhaltende Verteuerung würde dashalb die Inflationsängste, die ohnehin vorhanden sind, deutlich verstärken, weil über kurz oder lang die indirekten Effekte den Preisanstieg auf breiter Front beschleunigen würde. Und das könnte die Notenbanken auf den Plan rufen und zu Zinsanhebungen führen.
Kurzfristig am gefährlichsten sind die Auswirkungen auf die Investitionen der Unternehmen und die Ausgaben der Konsumenten. Die ersteren drosseln bei unsicheren Aussichten ihre Investitionen, letztere müsse auf Grund der hohen Energiekosten an anderer Stelle sparen, also weniger andere Güter kaufen. Vor allem die US-Konsumenten gelten als Knackpunkt. Die verbesserten Konjunktursperspektiven in den USA und der Weltwirtschaft sind eng mit einer Erholung des US-Konsums verbunden, der seit Monaten deutlich anzieht. Wenn die Benzinpreise auf Dauer um 30 Cents je Gallone klettern, fehlen den US-Verbrauchern aber rund 50 Milliarden Dollar pro Jahr im Portemonnaie, und das kann nicht ohne Folgen bleiben.
Wenn es zu einem Flächenbrand in der arabischen Welt kommt, gibt es nur kurzfristig Möglichkeiten, die Versorgung zu sichern und den Preisauftrieb zu drosseln. Die größte ist das Anzapfen der strategischen Ölreserven, die fast alle Verbraucherländer angelegt haben. Allein in den USA belaufen sie sich auf 4,3 Milliarden Barrel. Das würde immerhin den weltweiten Ölverbrauch für 50 Tage decken. Trotzdem – je länger die Konflikte anhalten, um so gefährlicher wird das Ölproblem. Anleger tun deshalb gut daran, mit einer langen Phase der Unsicherheit und der starken Kursschwankungen zu rechnen.
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