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In eigener Sache: FTD vor dem Aus, Qualitäts-Wirtschaftsjournalismus in Gefahr

Für Vorstand und Aufsichtsrat von Gruner + Jahr scheint der Buß- und Bettag zum wiederholten Male ein besonders passender Anlass dafür zu sein, Hiobsbotschaften zu verkünden. Ausgerechnet heute werden sie wohl das baldige Aus für die Wirtschaftstageszeitung Financial Times Deutschland (FTD) offiziell verkünden. Der deutsche Qualitäts-Wirtschaftsjournalismus wird damit um ein Vielfaches ärmer.

Am Beispiel der G + J-Wirtschaftstitel zeigt sich aber auch, dass den Verlagen noch immer die Ideen fehlen, wie sie im Digitalzeitalter bestehen können.

Mit dem zu erwartenden Beschluss geht ein unwürdiges Schauspiel vorläufig zu Ende, das unsere Kollegen in den vergangenen Wochen in Atem gehalten hat. Denn sie durften über sich ergehen lassen, dass in anderen Medien immer wieder lancierte Beiträge erschienen, die den Fortbestand der FTD, aber auch der übrigen Titel der Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien (Börse Online, Capital, Impulse) in Zweifel zogen.

Spätestens seit vergangenem Wochenende zeichnet sich nun das drohende Ende klar ab: Aus für die FTD, (vorläufiger) Fortbestand von Capital und (hoffentlicher) Verkauf von Börse Online und Impulse. Dass ein Mitglied des G + J-Vorstands selbst die Courage gezeigt hätte, sich vor die versammelte Mannschaft zu stellen und diesen Beschluss vorzutragen, darauf warteten die Kollegen bislang leider vergeblich.

Für viele feste und freie Mitarbeiter des Mediums ist das ein bitteres Deja-vu-Erlebnis. Denn ebenfalls am Buß- und Bettag vor vier Jahren, am 19. November 2008, erhielten sämtliche Redakteure und Mitarbeiter bei den Gruner + Jahr Wirtschaftsmagazinen Börse Online, Capital und Impulse die baldige Kündigung angezeigt. Das Team von finanzjournalisten.de zählte damals zu den Redakteuren bei Börse Online. Die wirtschaftliche Lage der Magazine war nicht gerade rosig, aber de facto wurde ihre Eigenständigkeit aufgegeben, um die ebenfalls Gruner + Jahr gehörende, defizitäre FTD am Leben erhalten zu können.

Was danach kam, ist vielen Lesern der Blätter vielleicht nicht so bekannt, daher sei es hier in Kürze dargestellt: 2009 wurden die Redaktionen der genannten Magazine sowie der ebenfalls Gruner + Jahr gehörenden Wirtschaftstageszeitung Financial Times Deutschland (FTD) zu einer gemeinschaftlichen Großredaktion, den Gruner + Jahr Wirtschaftsmedien, zusammengeschlossen, die seither für alle vier Titel zuständig war.

Aus meiner Sicht zeigt sich im Aus für Qualitätstitel wie die FTD wie in einem Brennglas die Situation, in der sich die hiesige Medienlandschaft befindet. Und das hat längst Ausstrahlungen auf die Gesellschaft.

Dazu fünf Anmerkungen:

1) Die hiesigen Verlage haben bislang keine Antwort darauf gefunden, wie sie den Vertrieb von Medienprodukten im Digitalzeitalter auf wirtschaftlich tragfähige Beine stellen. Stattdessen haben sie sich in die Abhängigkeit von internationalen Konzernen wie Apple & Co. gegeben, die am Vertrieb von digitalen Abos 30 Prozent vom Umsatz abknapsen – und das von ohnehin schon reduzierten Abopreisen. Die Verlage brauchen daher ganz bald ein Konzept, für ihre Onlineinhalte Geld auch auf andere Weise vom Endkunden zu nehmen

2) Digitalabos, sofern es sie gibt, nehmen nicht im gleichen Maße an Popularität zu wie die Printabos absinken. Das ist der Tatsache geschuldet, dass viele Bürger offenbar davon ausgehen, das sie sowieso alles im Internet finden, was sie brauchen. Dass das aber dort oft nur zu finden ist, weil bezahlte Wirtschaftsjournalisten recherchiert, sich mit Fakten auseinandergesetzt und dann einen Artikel geschrieben haben, machen sich viele nicht klar.

3) Die Verlage haben sich außerdem zuzuschreiben, dass ihre Redaktionen oft zu lange Zeit mit unklarer Strategie „einfach auch mal was für online schreiben“ sollten. Außerdem sollten die Onlineaktivitäten in vielen Häusern ja auch möglichst nichts kosten und von der bestehenden Mannschaft geschultert werden. Das kann nicht dauerhaft gut gehen. Wegen dieser verzagten Vorgehensweise haben sich viele Printobjekte den Ast abgesägt, auf dem sie sitzen. Beispiele wie Spiegel online zeigen, dass mit einer klugen Online-Strategie und entsprechend Manpower auch Wert zu schaffen ist.

4) Hinzu kommt ein typisch deutsches gesellschaftliches Phänomen: Das Interesse an Wirtschaftsthemen war bei vielen Deutschen leider schon immer gering, gerade auch an Themen wie Geldanlage – sieht man einmal vom kranken Börsenboom um die Jahrtausendwende ab. Umfragen belegen seit Jahren, dass die Deutschen wenig Ahnung von Geld und Privaten Finanzen haben. Dabei wäre es gerade in Zeiten von Finanz- und Eurokrise mehr denn je wünschenswert, wenn sich mehr Bürger dafür interessieren würden, was aus ihrem Geld wird.

5) Klar ist: Hochwertiger Journalismus ist nicht dauerhaft umsonst zu haben. Aber vielleicht müssen erst noch mehr renommierte Titel aufgeben, bis viele Leute kapieren, dass sie sich in einer – hoffentlich noch lange funktionierenden – Demokratie nicht über Facebook-Einträge, Tweets und Infohäppchen aus manchmal zweifelhaften Quellen über relevante gesellschaftlich und wirtschaftspolitisch relevante Vorgänge informieren können.

Den Kollegen bei den G + J Wirtschaftsmedien drücken wir alle jedenfalls fest die Daumen, dass es doch noch Hoffnung für alle Titel gibt. Kopf hoch, nicht unterkriegen lassen – und trotz allem weiterhin wie immer Qualität liefern!

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3 Kommentare
  1. Ich bin Abonnent der Börse Online seit über 10 Jahren. Die BO ist vielleicht das einzige wirklich seriöse Börsenblatt in Deutschland. Das soll es also gewesen sein? Traurig für Gruner + Jahr, die eine Menge kompetenter Leute verlieren, trauriger für die vielen deutschen Finanz-Analphabeten, die nun noch weniger Chancen haben, das Börsen-ABC zu erlernen.

    Gut zu sein reicht aber leider nicht, man muss die Qualität auch verkaufen können.

  2. Sie haben recht – ein Trauerspiel! Ich kann es beurteilen, ich habe früher für BÖRSE ONLINE gearbeitet. Das fing ja schon 1998 an: Damals war BÖRSE ONLINE, wie es seinem Namen gebührt, führend im Internet, der Börsen-Chat schlechthin. Und dann kam G+J und steckte alle Medienmarken unter die unbekannte Dachmarke "Business Channel". Der wurde dann technisch relaunched, was nicht funktionierte, so dass die Website auch noch zwei Monate
    offline waren. Und danach wurde dann Online auf die unterste Sparstufe gestellt und ausgehungert. Kein Wunder, dass die Konkurrenz davonzog.

  3. Relaunch bedeutet eigentlich Neustart, was der mit der willkürlichen Zusammenlegung von vier unterschiedlichen Titeln zu tun hat entzieht sich meiner Kenntnis. Auch der erhoffte Erfolg, dass mit dem gemeinsamen Redaktionsinput die Online-Sparte verbessert werden würde trat nicht ein – also salopp gesagt "ging auch in die Hosen". Stellt sich die Frage, eigenverantwortliche Qualitätstitel oder Einheitsbrei? Der Leser entscheidet.

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